Warum „Preparedness“ die Resilienz Ihrer Organisation spürbar erhöht – und warum wir sie trotzdem so gerne hinten anstellen.
Als Notarzt für Organisationen denke ich oft über einen wichtigen Grundsatz aus der Notfall-Medizin nach: „Stop the Bleeding“. Wie übersetzt man das in einen Organisations-Notfall? Meine Arbeit beginnt meistens, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, der Konflikt heiß läuft oder das Projekt an der Wand klebt. Ich komme, um die Blutung zu stoppen.
Deshalb war es für mich so ein Augenöffner, als auf dem Agile Lead Camp ein Notfall-Mediziner und Katastrophenhelfer auftrat. Ein Aspekt seiner Arbeit hat mich elektrisiert, weil ich ihm bisher viel zu wenig Beachtung geschenkt habe: die Vorbereitung auf den Einsatz. Im Kriseninterventionsschema der WHO gibt es dafür einen klaren Begriff: „Preparedness“.
Es ist die Phase, bevor die Katastrophe eintritt. Und mir wurde schlagartig klar: Wir reden in Organisationen fast immer nur über die Response, die Reaktion auf die Krise. Aber was wäre, wenn wir uns vorbereiten würden?
Was wäre, wenn…?
Stellen Sie sich das einmal vor:
- Was wäre, wenn ein Team ein mögliches, eskalierendes Konfliktszenario bereits einmal trocken durchgespielt hätte? Wenn es bereits Erfahrungen im Umgang mit schwierigen Emotionen und festgefahrenen Positionen gesammelt hätte, bevor der echte Konflikt da ist?
- Was wäre, wenn ein mittelständisches Unternehmen einen Wassereinbruch im Serverraum oder einen massiven Cyberangriff schon einmal simuliert und die Handlungsoptionen und Kommunikationsketten durchdacht hätte?
- Was wäre, wenn ein Projekt einen Totalzusammenbruch des bisher verfolgten Lösungsweg durchdacht hätte und nun nach neuen Lösungswegen suchen müsste.

Krisenvorbereitung („Preparedness“) umfasst planen, üben, auswerten und nachschärfen – bevor die Krise eintritt. Ziel: Rollen & Kommunikation klären, Entscheidungen trainieren, Schwachstellen risikofrei aufdecken. (WHO/DHS definieren Preparedness als zyklisches Vorbereiten & Üben.)
Quelle: WHO
Warum üben? – belegte Effekte
- Koordination verbessert sich durch geübte Pläne
- Rollen-Sicherheit & Selbstvertrauen steigen
- Kommunikationswege werden klar, Lücken sichtbar → Maßnahmenplan.
Review zu Übungen im Katastrophenschutz
Tabletop-Ablauf in 6 Schritten
- Ziel & Szenario
- Beteiligte & Rollen
- Kommunikationsketten/Eskalation
- Durchlauf (Zeit-Sprünge erlaubt)
- Debrief (Top-3 Lücken, Owner, Fristen)
- Retest (in 30–45 Tagen).
Entscheidung klären mit Cynefin
Ist die Lage chaotisch (erst handeln), komplex (probieren/lernen), kompliziert (Fachanalyse) oder klar (Best Practice)?
Das Framework hilft, die richtige Handlungslogik zu wählen.
Pre-Mortem (eine erste Annäherung, 20 Min.)
„Stellt euch vor, die Maßnahme ist gescheitert – warum?“
So werden Risiken vorab sichtbar; stärkt Offenheit & Lernkultur.
Es würde wertvolles (Erfahrungs-)Wissen entstehen. Es würden Methoden bereitstehen, die uns befähigen, eine chaotische, also kaum beeinflussbare Situation in eine komplexe (experimentell erkundbar) oder komplizierte (analytisch erschließbar) Situation zu überführen. Wir würden lernen, dass unterschiedliche Krisen unterschiedliche Interventionsformen benötigen.
Kurz gesagt: Wir würden die Resilienz unserer Organisation dramatisch erhöhen.
Der System-Scan vor dem Notfall: Die Kraft der Simulation
Die Arbeit in solchen „Preparedness“-Szenarien ist im Grunde ein System-Scan unter Laborbedingungen. Man testet die Belastbarkeit der eigenen Strukturen, Kommunikationswege und Entscheidungsprozesse. Man deckt Schwachstellen auf, wenn es noch nichts kostet.
- Man lernt, eine Situation nach Kriterien wie der Cynefin-Matrix einzuordnen: Ist das Problem einfach, kompliziert, komplex oder chaotisch? Und welche Handlungslogik folgt daraus?
- Man entwickelt ein gemeinsames Verständnis und eine gemeinsame Sprache für den Krisenfall. Im Ernstfall muss nicht mehr diskutiert werden, wer was tut – es gibt einen einstudierten Plan.
Es ist im Grunde die systematische Vorbereitung darauf, im Ernstfall nicht in Panik zu verfallen, sondern handlungsfähig zu bleiben.
Die ehrliche Hürde: Warum Prävention so unsexy ist
Und doch wird es so selten getan. Warum? Weil es sich in etwa so sexy anfühlt wie der 25. Aufruf, sich um Cybersecurity, Gesundheitsmanagement oder andere ähnlich „freudvolle Themen“ zu kümmern. Es ist Prävention. Und Prävention hat einen schweren Stand gegen das operativ Dringende.
Der Nutzen ist abstrakt, der Aufwand konkret. Einen Workshop zur Simulation eines Teamkonflikts zu verkaufen, ist unendlich viel schwieriger, als eine Mediation für einen bereits eskalierten Konflikt anzubieten. Beim einen geht es um eine vage Zukunft, beim anderen um einen akuten Schmerz.
Und doch frage ich mich: Wäre es nicht unendlich viel sinnvoller, die Resilienz zu trainieren, anstatt immer nur die Wunden zu versorgen?
Meine Frage
an die internen Organisationsgestalter:innen
unter Ihnen
Sie sind die System-Lotsen, die Kuratoren, die internen Sparringspartner. Sie sehen die potenziellen Bruchstellen oft als Erste.
Deshalb meine Frage direkt an Sie: Halten Sie solche „Preparedness“-Interventionen – also das simulierte Durchspielen von Krisen- und Konfliktszenarien – für einen sinnvollen Hebel in Ihrer Organisation? Wie würden Ihre internen Kunden auf eine solche Zumutung reagieren? Gibt es dafür einen echten Bedarf, oder würde das als „nette, aber unnötige Übung“ abgetan?
Und ganz direkt gefragt: Wäre ein solches Angebot – die Konzeption und Moderation von maßgeschneiderten Krisensimulationen – für Sie und Ihre internen Kunden interessant?
Wenn ja, lassen Sie uns reden.

Dieter Bickenbach, der Notarzt für Organisationen
Co-Autor: Gemini 2.5 pro
Dieter Bickenbach ist Organisations-Notarzt. Er hilft Führungskräften, in festgefahrenen Situationen schnell wieder handlungsfähig zu werden. Seine Methode: Akut-Intervention, systemische Erstuntersuchung und radikale Ehrlichkeit. Anstatt fertige Lösungen zu verkaufen, befähigt er Organisationen, ihre eigenen Probleme nachhaltig zu lösen. Mit über 20 Jahren Erfahrung in Organisationskrisen und einem Faible für systemische Zusammenhänge bringt er Ruhe in den Sturm – und manchmal auch einen trockenen Kommentar, wenn es die Situation verträgt.
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