Foto von Memento Media auf Unsplash
Kennen Sie das? Dieses seltsame Gefühl, wenn ein Erfolg langsam, aber sicher zu einem Problem wird. Eine Abteilung wächst, die Aufgaben werden mehr, neue Leute kommen an Bord. Was als dynamischer Motor gestartet ist, beginnt zu stottern. Die Komplexität steigt. Die eine Führungskraft an der Spitze kann und soll nicht mehr alles allein stemmen.
Die logische Konsequenz? Umstrukturieren. Die Abteilung aufteilen, die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilen. Auf dem Papier eine klare, vernünftige Management-Aufgabe. In der Realität der Beginn einer Zerreißprobe, die schon so manches Führungsteam an den Rand des Nervenzusammenbruchs gebracht hat.
Ich erinnere mich gut an einen Fall, der genau dieses Muster aufzeigte. Ein klassischer Fall für einen System-Architekten, der einen Meinungsbildungsprozess moderieren soll. Klingt harmlos, oder? War es aber nicht. Denn was als rationale Design-Frage begann, endete in einer emotionalen Blockade – ein typischer Organisations-Notfall.
Die Falle der guten Absichten
Die Abteilungsleitung in diesem Fall handelte sehr klug. Sie wusste, dass sie nicht gleichzeitig Moderatorin der Lösungsfindung und die finale Entscheiderin sein konnte. Ein klassischer Rollenkonflikt. Und sie hatte den aufrichtigen Wunsch, ihr Leitungsteam mitzunehmen, die neue Struktur nicht einfach von oben zu verordnen. Das Ziel: eine einvernehmliche, eine Konsens-Lösung.
Die zentrale Frage war: Nach welchen Kriterien teilen wir die Abteilung auf?
Schnell schälten sich zwei logische Optionen heraus:
- Lösung A: Wir bündeln nach gleichartigen Tätigkeiten. Alle Experten für Tätigkeit X werden in der neuen Abteilung gebündelt, alle für Thema Y in der anderen. Klingt sauber und effizient.
- Lösung B: Wir verbinden inhaltliche Zusammenarbeit. Wir schaffen Abteilungen, in denen die Teams sitzen, die sich für die Wertschöpfung gegenseitig zuarbeiten. Klingt agil und prozessorientiert.
Beide Lösungen waren machbar. Beide hatten nachvollziehbare Vor- und Nachteile. Und beide fanden sofort ihre leidenschaftlichen Befürworter und ihre ebenso leidenschaftlichen Gegner.
Und dann passierte, was in solchen Situationen fast immer passiert: Ratlosigkeit und Stillstand. Die Diskussion drehte sich im Kreis. Für jede Lösung gab es scheinbar unüberbrückbare Einwände der Gegenseite. Es bildeten sich zwei unvereinbare Lager. Aus einer sachlichen Design-Frage wurde ein politisches Tauziehen. Der gut gemeinte Wunsch nach Konsens war zur Falle geworden. Blockade.

Die Organigramm-Falle beschreibt Reorgs, die rational plausibel sind, aber an Status, Identität und Konsensdruck scheitern: Entscheidungen werden vertagt, es bilden sich Lager, Verantwortung verschwimmt. Lösung: Entscheidungsrechte klären, Konsent statt Konsens nutzen, Stakeholder offen einbinden.
Quellen: Harvard Business Review
Die 5 emotionalen Fallen bei jeder Reorganisation
-
Statusverlust: gefühlter Bedeutungsverlust erzeugt Widerstand.
-
Zukunftsangst: Unsicherheit über Rollen/Teams.
-
Konsensdruck: Entscheidungsstau aus „alle müssen zustimmen“.
-
Beziehungsbruch: Lagerbildung, Hinterzimmer-Runden.
-
Verantwortungs-Drift: unklare Decision Rights, niemand entscheidet.
Woran erkenne ich die Organigramm-Falle?
Entscheidungsstau, Hinterzimmerabsprachen, „Alle wollen recht behalten“, Verantwortung verschwimmt
Konsens vs. Konsent?
Konsens = alle dafür; Konsent = niemand hat einen triftigen Einwand → schneller, reversibel
Moderieren oder entscheiden?
Moderation für Optionen/Einwände; dann begründete Entscheidung + Folgen und Rhythmus klar kommunizieren
Die wahre Währung: Warum es nie nur um Kästchen und Linien geht
Wie kommt das? Warum werden erwachsene, intelligente Führungskräfte bei einer so rationalen Aufgabe plötzlich zu emotional agierenden Gegnern?
Weil ein Organigramm niemals nur ein Organigramm ist. Es ist nicht nur eine formale Struktur. Ein Organigramm ist Fleisch gewordene Unternehmenskultur.
Das muss jedem und jeder klar sein, die sich mit Re-Organisation herumplagen. In diesen Kästchen und Linien steckt so viel mehr als nur Logik. Es geht um die informelle Währung jeder Organisation:
- Status und Anerkennung: An wen berichte ich? Wer berichtet an mich? Bin ich näher am Zentrum der Macht oder weiter weg? Was bin ich und was ist meine Tätigkeit wert?
- Bedeutung und Einfluss: Welche Aufgabenbereiche werden mir zugeordnet? Welche werden mir weggenommen? Wofür bin ich sichtbar verantwortlich?
- Zugehörigkeit und Identität: Mit wem sitze ich im selben Boot? Wer sind „wir“ und wer sind „die anderen“?
Alle Beteiligten in diesem Prozess wussten das. Sie konnten es nicht unbedingt in Worte fassen, aber sie haben es gefühlt. Sie haben gespürt, dass die eine Lösung eine gefühlte Zurücksetzung für die eine Gruppe bedeutet hätte. Und die andere Lösung eine gefühlte Zurücksetzung für die andere Gruppe.
Ein Konsens war unter diesen Umständen schlicht unmöglich. Es war ein Nullsummenspiel um Bedeutung.
Die Stunde der Führung: Mehr als nur entscheiden
Genau hier, in dieser Sackgasse, endet Moderation und beginnt Führung. Das ist die Stunde der Wahrheit, in der Führung ihre eigentliche Aufgabe erfüllen muss. Und diese Aufgabe ist dreigeteilt:
- Entscheiden und die Entscheidung begründen. Führung heißt, eine der Optionen auszuwählen, die Gründe dafür klar und nachvollziehbar zu kommunizieren und die Verantwortung dafür zu übernehmen. Nicht als Diktat, sondern als begründeter, notwendiger Schritt nach vorne.
- Die „Verlierer“ bewusst aufwerten. Das ist der entscheidende, oft vergessene Schritt. Diejenigen, deren bevorzugte Lösung nicht gewählt wurde, brauchen aktive Aufmerksamkeit. Ihre Beiträge müssen gewürdigt, ihre Bedenken ernst genommen und ihre zukünftige Rolle im neuen System mit Bedeutung aufgeladen werden. Führung schafft hier durch gezielte Kommunikation und Wertschätzung einen Ausgleich.
- Die Konsequenzen akzeptieren. Man muss der harten Realität ins Auge sehen: Nicht jeder wird die neue Situation lieben. Manche werden sich arrangieren, andere werden vielleicht gehen. Das berühmte „Love it, change it, or leave it“ ist keine Drohung, sondern die Beschreibung einer systemischen Realität.
Strukturveränderungen sind keine rein administrative Übung. Es ist kulturelle Chirurgie. Der Soziologe Stefan Kühl formuliert es aus einer anderen Perspektive so: „Die Kultur als informale Struktur einer Organisation kann immer nur durch Veränderungen in der formalen Struktur bearbeitet werden.“
Wenn Sie gerade mitten in einem solchen Umbau stecken und das Gefühl haben, auf Granit zu beißen, obwohl doch alles so logisch scheint, dann liegt es wahrscheinlich daran, dass Sie gerade am offenen Herzen Ihrer Kultur operieren. Die Emotionen sind keine Störung. Sie sind das Signal, das Ihnen genau das anzeigt.
Das ist oft ein Punkt, an dem man von innen nicht mehr weiterkommt.
Die Emotionen kochen zu hoch, die Fronten sind verhärtet. Hier hilft der Blick von außen, der die Situation nüchtern analysiert und den Prozess so steuert, dass eine tragfähige Entscheidung getroffen und umgesetzt werden kann.
Wenn Sie merken, dass Ihr Umbauprojekt zu einem Organigramm-Krieg zu eskalieren droht, ist das ein klassischer Fall für den Organisations-Notarzt.
Lassen Sie uns in einem vertraulichen, kostenlosen Erstgespräch klären, wo Ihre Blockaden liegen und wie Sie wieder handlungsfähig werden, bevor der Grabenkampf Ihr Team lähmt.

Dieter Bickenbach, der Notarzt für Organisationen
Co-Autor: Gemini 2.5 pro
Dieter Bickenbach ist Organisations-Notarzt. Er hilft Führungskräften, in festgefahrenen Situationen schnell wieder handlungsfähig zu werden. Seine Methode: Akut-Intervention, systemische Erstuntersuchung und radikale Ehrlichkeit. Anstatt fertige Lösungen zu verkaufen, befähigt er Organisationen, ihre eigenen Probleme nachhaltig zu lösen. Mit über 20 Jahren Erfahrung in Organisationskrisen und einem Faible für systemische Zusammenhänge bringt er Ruhe in den Sturm – und manchmal auch einen trockenen Kommentar, wenn es die Situation verträgt.
Der Resonanzgarten
Die Bibliothek des Organisations-Notarztes & System-Architekten
Die Richtig-Falle: Warum gute Absichten oft zu schlechten Ergebnissen führen
unbeabsichtigte nebenwirkungen vermeiden
Nach der Reorganisation: Die Logikfalle – wenn Schnittstellen alles entscheiden
Schnittstellenmanagement: Übergaben mit Abnahmekriterien
Die vergessene Phase der Krisenbewältigung: Preparedness
Krisenvorbereitung: Was Organisationen von der Katastrophenhilfe lernen
Brandgeruch im Unternehmen: Die Kunst, das Feuer zu melden, ohne sich zu verbrennen
frühwarnsignale im unternehmen wahrnehmen



