Wie Sie als interner System-Lotse den Abwehrreflex von Führungskräften überwinden und den entscheidenden Dialog eröffnen.

Das waren schon keine subtilen Signale mehr. In der Personalabrechnung klagten die Mitarbeitenden über die massive Arbeitslast und eine Chefin, die immer mehr forderte. Drei aufeinanderfolgende Prüfungen, um Fehler zu vermeiden. Ein riesiger Stapel unbearbeiteter Personalstandsmeldungen in der Ecke. Es roch nach Schwelbrand.

Mein Versuch, die verantwortliche Führungskraft darauf anzusprechen, war ein Desaster. Die prompte Reaktion: Ihre Mitarbeitenden seien das Problem. Unfähig. Überfordert. Sie selbst müsse ständig aushelfen und eingreifen. Ein schwerer Fall von Projektion und mangelnder Selbstreflexion.

Dieses Phänomen kennt vermutlich jeder, der in einer Organisation die Rolle des „Frühwarnsystems“ einnimmt. Man riecht den Rauch, man sieht das Glimmen. Aber wenn man proaktiv handeln will, stößt man oft auf eine unsichtbare Mauer: den Abwehrreflex der verantwortlichen Führungskraft. „Können Sie mich nächste Woche nochmal ansprechen.“, „Keine Zeit, muss gerade ein akutes Problem lösen.“, „Was geht Si das an? Wieso meinen Sie sich hier einmischen zu müssen?“ – ein Spektrum von Ausweichen bis zur kalten Ablehnung.

In diesem Artikel möchte ich die tiefen Gründe für dieses Zögern beleuchten und Ihnen einen konkreten Werkzeugkasten an die Hand geben, wie Sie diesen Abwehrreflex verstehen, umgehen und überwinden können. Es geht darum, das System dazu zu bewegen, die nötige Hilfe anzunehmen – bevor der Ruf nach dem Organisations-Notarzt zur letzten Rettung wird.

Die stillen Warnsignale: Was das System Ihnen zuflüstert

Frühwarnsignale: ängstliches Schweigen und Informationsstau
Brandgeruch im Unternehmen sind Frühwarnsignale

„Brandgeruch“ sind leise Frühwarnsignale (z. B. Fehlerhäufungen, Informationsstau, ängstliches Schweigen), die auf eine systemische Störung hinweisen. Entscheidend ist nicht die Schuldfrage, sondern das gemeinsame Lagebild – früh, ruhig, lösungsorientiert.

 

Stille Warnsignale

  • Projekte laufen chronisch aus dem Ruder
  • Infos werden nicht mehr geteilt
  • Krankenstand steigt lokal
  • wiederkehrende Prozessfehler/Abbrüche.

Warum entsteht der Abwehrreflex?

  • Angst vor Blame Game
  • Konfrontationsscheu
  • Wir schaffen das intern
  • Politik/Positionsrisiko
  • Zeitdruck („wichtig, aber nicht dringend“).

Gespräch suchen – Fragen-Leitfaden

  • „Ich beobachte X. Wie nehmen Sie das wahr?“

  • Welche Auswirkungen hat Y auf angrenzende Bereiche?“

  • Was müsste sich ändern, damit Z nicht mehr auftritt?“

  • Low-Barrier-Angebot: „2-Stunden-Klärung – unverbindlich, um das Lagebild zu schärfen.“

Wann extern Unterstützung suchen?

Wenn Schweigen dominiert, defensive Routinen feststecken oder Krisenindikatoren kumulieren, bietet sich ein externer geschulter Blick als Erstdiagnose an.

Als interner System-Lotse haben Sie eine einzigartige Position. Sie sehen die systemischen Fiebersymptome oft als Erster. Sie nehmen den „Brandgeruch“ wahr, der sich in typischen Beobachtungen manifestiert:

  • „Projekte laufen chronisch aus dem Ruder.“
  • „Wichtige Informationen werden nicht mehr geteilt.“
  • „Die Krankenquote in Abteilung X ist unerklärlich hoch.“
  • „Es kommt zu wiederkehrenden Fehlern und Prozessausfällen.“

Die Tücke dieser Signale ist ihre Harmlosigkeit im Isolierten. Sie sind diffus, lassen sich leicht rationalisieren („Viel zu tun“, „Schlechter Monat“). Ihr wahrer Wert liegt nicht im einzelnen Symptom, sondern in der systemischen Interpretation. Ihre Rolle ist es, diese Muster zu erkennen und als Anlass für ein Gespräch zu nehmen, lange bevor es alle tun. Eine detailliertere Betrachtung, wie sie die Signale erkennen, habe ich im Artikel „Die Anatomie des Notfalls“ beschrieben.

Das System-Fieber-Thermometer

Für eine umfassendere Selbstdiagnose finden Sie das vollständige „System-Fieber-Thermometer: 40 Symptome, die auf akute Organisationskrisen hindeuten“ als kostenlosen Download in meinem Resonanzarchiv.

Die Psychologie des Zögerns: Ein Blick hinter die Abwehrmauer

Warum zögern Führungskräfte, Hilfe anzunehmen? Diesen Abwehrreflex persönlich zu nehmen, ist der häufigste Fehler. Leichter ist es, ihn als systemische Reaktion zu verstehen, die aus nachvollziehbaren Gründen entsteht:

  • Angst vor der Wahrheit & dem Blame Game: Externe Augen könnten unbequeme Wahrheiten aufdecken. Die implizite Frage „Wer ist schuld?“ lähmt viele Führungskräfte.
  • Angst vor unangenehmen Konfrontationen: Viele Führungskräfte haben den Anspruch, Probleme harmonisch und ohne offene Auseinandersetzungen zu lösen. Die Vorstellung, ein schwieriges Gespräch mit dem eigenen Team führen zu müssen, wirkt abschreckend.
  • „Das schaffen wir intern“: Eine Mischung aus Überschätzung der eigenen Ressourcen und einer gewissen Betriebsblindheit für die Tiefe des Problems.
  • Politische Implikationen: Das Problem ist oft so eng mit der eigenen Position oder Abteilungspolitik verknüpft, dass eine externe Perspektive als Bedrohung der eigenen Kontrolle wahrgenommen wird.
  • Prioritäten & Zeitmangel: Das operative Tagesgeschäft fühlt sich immer dringlicher an. Das „schwelende“ Problem wird als „wichtig, aber nicht dringend“ eingestuft und auf später verschoben.

Ihre Herausforderung als interne System-Lotsen ist es, die Motive hinter dem Reflex zu erkennen und Ihre Strategie darauf abzustimmen.

Das Zögern überwinden: Ihre Strategien als interne System-Lotsen

Dies ist das Herzstück. Wie bewegen Sie sich in diesem Minenfeld? Es ist eine Kunst aus Vorbereitung und Gesprächsführung.

Vorbereitung ist alles: Der eigene Werkzeugkasten

Bevor Sie das Gespräch suchen, brauchen Sie maximale Klarheit für sich selbst.

  • Diagnostische Schärfe: Nutzen Sie Tools wie den Interventionskompass und den System-Fieberthermometer für Ihre eigene Analyse. Wo genau verorten Sie das Problem? Welche Symptome sehen Sie? Je präziser Ihre Hypothese, desto sicherer Ihr Auftreten.
  • Strategie-Reflexion: Nutzen Sie ein Reflecting Team (digital oder real), um Ihre eigene Vorgehensweise zu spiegeln. Wie könnte die Führungskraft reagieren? Welche Frage könnte eine Tür öffnen, anstatt sie zuzuschlagen?

Das Gespräch: Vom Vorwurf zur partnerschaftlichen Erkundung

  • Timing: Suchen Sie einen Moment, in dem der Schmerz spürbar ist, der Brand aber noch nicht lichterloh lodert. Alternativ: Rahmen Sie das Gespräch als „strategische Überlegung“ oder „Ressourcen-Check“, nicht als Problembesprechung.
  • Fokus auf das System, nicht die Person: Sprechen Sie nicht von „Ihrem Problem“, sondern von „einer Beobachtung im System X, die sich in Symptomen Y und Z zeigt.“ Das entpersonalisiert und entgiftet die Situation.
  • Fragen statt Ratschläge: Stellen Sie offene, systemische Fragen, die zur Reflexion einladen. „Ich beobachte X, wie nehmen Sie das wahr?“, „Welche Auswirkungen hat Y auf andere Bereiche?“, „Was müsste sich ändern, damit Z nicht mehr auftritt?“
  • Den Nutzen für die Führungskraft hervorheben: „Es geht um Ihren“ Formulieren Sie Ihr Angebot als Unterstützung, um seine bzw. ihre Ziele zu erreichen, sein bzw. ihr Team zu entlasten und seine bzw. ihre Reputation zu stärken.
  • Ein Low-Barrier-Angebot machen: Schlagen Sie keine große Intervention vor. Bieten Sie einen kleinen, unverbindlichen ersten Schritt an: „Wie wäre es, wenn wir uns gemeinsam 1-2 Stunden nur diese Symptome ansehen? Ohne jede Verpflichtung, rein zur Klärung.“

Und sollten Sie diese Ratschläge als Schlag und übergriffige Infragestellung Ihrer Kompetenz empfunden haben, wissen Sie genau, wie es vielen Ihrer internen Kunden geht. Denn das ist ein weiterer Grund für den Abwehrreflex.

Ihr Auftrag als Hüter der Organisationsgesundheit

Als interne System-Lotsen sind Sie mehr als ein Broker, der Aufträge verteilt. Sie sind ein Hüter der Organisationsgesundheit. Ihre Kunst liegt darin, den Abwehrreflex zu verstehen und mit Präzision, Wertschätzung und den richtigen Werkzeugen zu agieren, bevor der Brand ausbricht.

Wenn der Brand wirklich lodert: Der Notarzt als letzte Instanz

Trotz aller präventiven Bemühungen kann es passieren, dass die Signale ignoriert werden und das Problem eskaliert. Das Kind liegt im Brunnen. Jetzt ist der Zeitpunkt, an dem der Ruf nach dem Organisations-Notarzt unvermeidlich wird.

Als externer Notarzt greife ich dann mit dem „Organisations-Notfall-Intervention & System-Scan“ schnell und präzise ein. Aber dieser Einsatz hat einen bitteren Preis: Er ist in der Regel deutlich teurer, schmerzhafter und aufwändiger, als eine frühe, präventive Intervention gewesen wäre.

Meine Rolle als System-Architekt ist es dann, nach dem Notfall gemeinsam mit den internen Teams die Brandschutzsysteme zu bauen, die zukünftige Brände verhindern.

Ihre nächsten Schritte

Stärken Sie Ihre Diagnostik:

Nutzen Sie den Interventionskompass  und den System-Fiebermesser als Ihre Werkzeuge, um den Unterstützungsbedarf präzise zu verorten.

Testen Sie unser Digitales Reflecting Team, um Ihre eigene Haltung zu schärfen und blinde Flecken zu entdecken.

Wenn Sie bei der Überwindung von Abwehrreflexen oder einer akuten Intervention Hilfe benötigen, buchen Sie ein unverbindliches 15-Minuten-Impulsgespräch. Wir klären, wie wir gemeinsam Ihre Organisation vor dem Flächenbrand bewahren können.

Dieter Bickenbach, der Notarzt für Organisationen

Dieter Bickenbach, der Notarzt für Organisationen

Co-Autor: Gemini 2.5 pro

Dieter Bickenbach ist Organisations-Notarzt. Er hilft Führungskräften, in festgefahrenen Situationen schnell wieder handlungsfähig zu werden. Seine Methode: Akut-Intervention, systemische Erstuntersuchung und radikale Ehrlichkeit. Anstatt fertige Lösungen zu verkaufen, befähigt er Organisationen, ihre eigenen Probleme nachhaltig zu lösen. Mit über 20 Jahren Erfahrung in Organisationskrisen und einem Faible für systemische Zusammenhänge bringt er Ruhe in den Sturm – und manchmal auch einen trockenen Kommentar, wenn es die Situation verträgt.

Der Resonanzgarten

Die Bibliothek des Organisations-Notarztes & System-Architekten